15.06.2022 | Faktencheck

Kann mit der Sprache der Nazis der Krieg gegen die Ukraine gewonnen werden?

 «Wer öffentlich die nationalsozialistische Ideologie verbreitet, macht sich bereits heute strafbar», sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter in einem Interview. Dennoch sind in der Schweiz Nationalsozialistische Symbole im öffentlichen Raum gestattet, der Bundesrat spricht sich explizit gegen ein «ausnahmsloses» Verbot aus. Er ist der Ansicht, dass die «Verwendung solcher Symbole in Wissenschaft, Kunst, Bildung und Journalismus möglich bleiben» solle. Zur Diskussion gebracht hat dies die russische Rhetorik von Wladimir Putin, der seine kriegerischen Handlungen gegen die Ukraine damit rechtfertigt, diese von Nazis befreien zu wollen. Mit dem seit Kriegsbeginn über diverse russische Medienkanäle kolportierte Bild einer Gefahrensituation im Nachbarland Ukraine, übernehme Putin die Sprache derer, die um 1920 mit ihren antisemitischen Parolen die Weimarer Republik zu Fall brachten. Diese Position belegt Nils Werner in einem Artikel des Mitteldeutschen Rundfunks ausführlich.  


Russlands Präsident Wladimir Putin erscheint auf einem Fernsehschirm an der Frankfurter Börse am 25. Februar 2022. Foto: Keystone-SDA / AP / Michael Probst
Russlands Präsident Wladimir Putin erscheint auf einem Fernsehschirm an der Frankfurter Börse am 25. Februar 2022. Foto: Keystone-SDA / AP / Michael Probst
Behauptung

Ein Foto, welches in mehreren Social Media Plattformen kursiert, soll die russische Nazi-These beweisen: Es zeigt Tätowierungen auf dem Rücken eines Mannes, darunter ein Hakenkreuz und weitere NS-Symbole. «Mal wieder ein ukrainischer Soldat gefangen genommen mit interessanten Tattoos», lautet ein Kommentar von Anfang Mai 2022 dazu. Ist das Bild aktuell? Handelt es sich dabei wirklich um einen ukrainischen Kriegsgefangenen?  

Beurteilung

Das gezeigte Bild kursiert bereits seit einigen Jahren im Netz und steht in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine. Es zeigt nach Angeben des Innenministeriums von Belarus einen belarussischen Staatsbürger.

Sachlage

Das belarussische Innenministerium publizierte am 19. April 2016 eine Mitteilung über die Festnahme eines jungen Staatsbürgers wegen Verdachts auf Rowdytum. In der Mitteilung ist ein Video eingebunden, in dem der im Facebook-Post abgebildete Mann zu sehen ist und das auf dem YouTube-Kanal des Innenministeriums veröffentlicht wurde. Ein Tweet der Behörde verweist ebenfalls auf die Mitteilung des Innenministeriums sowie auf das Video.


Belarussische Medien nahmen die Mitteilung inklusive des Bildes in ihre Berichterstattung auf. 2017 wurde der Mann zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch in Deutschland wurde darüber berichtet.


Der in Wizebsk, im Norden von Belarus, verhaftete Mann soll angeblich 2014 während den Unruhen in der Ukraine im Bataillon Asow gekämpft haben. Damals begannen im Osten der Ukraine Kampfhandlungen, in diesem Zusammenhang annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim. Die Schweiz sieht das als Verstoss gegen nationales und internationales Recht.


Das Bataillon Asow wurde im Frühjahr 2014 in der Ukraine gegründet. Gründungsmitglieder hatten tatsächlich Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen. Das Bataillon ist auch in den aktuellen Kampfhandlungen involviert, Untersuchungen haben jedoch eine Distanzierung vom Rechtsextremismus festgestellt. Führende Persönlichkeiten mit entsprechenden Verbindungen hätten die Gruppierung verlassen, zudem wurde das Regiment bereits im Herbst 2014 den ukrainischen Behörden unterstellt und ist somit zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts verpflichtet.


Die Verwendung von rechtsextremistische Symbolik ist jedoch auffallend. Im Jahr 2015 gab ein Regimentsvertreter gegenüber US-Today an, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Mitglieder Nazis seien. Auch andere Experten geben an, dass Neo-Nazis in der Minderheit innerhalb des Bataillons sind. Die Deutschen Bundesbehörden schlussfolgern, dass die russische Aggression, beginnend im Jahr 2014, das ultranationale Gedankengut gefördert hätte. An der Gesamtanzahl gemessen sei der Anteil der Rechtsextremen gering.


Die Verhaftung des Belarussen löste eine Diskussion für eine härtere Bestrafung bei der Verwendung von NS-Symbolik aus. Der belarussische Präsidenten Alexander Lukaschenko unterzeichnet im Mai 2021 ein Gesetz gegen die Rehabilitation des Nazismus. Nazi-Propaganda hat der ehemalige ukrainische Präsidenten Petro Poroschenko bereits im Jahr 2015 in der Ukraine verboten.
 

Quellen

Facebook-Post (archiviert)


Telegram-Post russisch (archiviert)


Telegram-Post (archiviert)


EJPD: Interview mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter, 20.05.2022 (archiviert)


NZZ: Putins Lügengebilde: Der Kreml will sich die Ukraine unterwerfen und nennt es «Befreiung», 26.02.2022


SRF: Putins Ukraine-Propaganda aus dem Märchenbuch, 16.03.2022 (archiviert)


MDR: Putin und die Sprache der Nazis, 02.06.2022 (archiviert)


Innenministerium von Belarus: Medienmitteilung über die Festnahme, 19.04.2016 (archiviert)


Innenministerium von Belarus: Youtube-Film über die Festnahme (archiviert, Video archiviert)


Innenministerium von Belarus: Youtube-Kanalinformation (archiviert)


Innenministerium von Belarus: Tweet mit Link zur Medienmitteilung, 19.04.2016 (archiviert)


Innenministerium von Belarus: Tweet mit Link zum Youtube-Video, 19.04.2016 (archiviert)


Innenministerium von Belarus: Vorschläge für verschärfte Massnahmen gegen NS-Ideologie, 10.08.2016 (archiviert)


Prinemanskiye Vesti: Artikel über Festnahme, 11.08.2016 (archiviert)


Juristische Zeitung UA: Beginn des Prozesses, 12.12.2016 (archiviert)


RIA: Artikel über Urteil, 03.03.2017 (archiviert)


Tweet vom Freien Journalist (archiviert)


DEZA: Factsheet – Schweizer Zusammenarbeit mit der Ukraine, 2020 (Download) (archiviert)


Deutscher Bundestag: Regiment Asow, 2022 (archiviert)


US-Today: Faschistisches Gedankengut in der Bataillon Asow, 10.03.2015 (archiviert)


Hromadeske: Mitglieder der Asow Bataillon sind Neo-Nazi, 19.01.2015 (archiviert)


Belta: Lukaschenko unterzeichnet Gesetz gegen Rehabilitation des Nazismus, 15.05.2021 (archiviert)


Radio Free Europe: Poroschenko unterzeichnet Gesetz gegen Nazi-Symbole, 15.05.2015 (archiviert)

 

 

 


Kontakt Faktencheck-Team: factchecking@keystone-sda.ch