27.09.2023 | Faktencheck

Debatte über Schulmenüs falsch wiedergegeben

Der Bund fördert im Rahmen der Ernährungsstrategie eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Damit sollen ein gesunder Lebensstil gefördert und Krankheiten vorgebeugt werden. Da sich täglich sehr viele Menschen in einer Gemeinschaftsgastronomie verpflegen, beeinflussen diese die Ernährung. Schulkantinen bieten sich daher besonders an, gesunde Ernährungsgrundlagen und taugliche Ernährungsgewohnheiten zu vermitteln. Inwiefern gehen die Schulkantinen auf religiös motivierte Essvorschriften ein? 


Ein Schüler trägt in einer Schweizer Schulmensa sein Essenstablett zu Tisch. Foto: Keystone-SDA/Gaëtan Bally
Ein Schüler trägt in einer Schweizer Schulmensa sein Essenstablett zu Tisch. Foto: Keystone-SDA/Gaëtan Bally
Behauptung

Aktuell kursiert hierzulande ein Kettenbrief in den Sozialen Medien, in dem angeblich muslimische Eltern forderten, kein Schweinefleisch in einer Schulkantine mehr anzubieten. Der Bürgermeister der vermeintlich betroffenen Stadt weigere sich, der Forderung nachzukommen mit der Begründung, Muslime hätten sich in ihrer Lebensweise der Schweiz mit ihrer jüdisch-christlichen Wurzeln anzupassen. Stimmt die Geschichte?

Beurteilung

Eine derartige Geschichte ist in der Schweiz nicht belegt. In diversen Ländern kursiert diese Behauptung jedoch bereits seit etwa zehn Jahren. Ihr Ursprung dürfte in Frankreich im Jahre 2013 liegen.

Sachlage

Das vermeintliche Schreiben weist keine genaue Ortschaft in der Schweiz auf, in der sich die Geschichte abgespielt haben könnte. Zudem wird der Begriff «Bürgermeister» verwendet. In der Schweiz wird aber die Vorstehende Person einer Gemeinde oder einer Stadt meist mit «Präsident» oder mit «Ammann» betitelt.


Die Geschichte lässt sich nicht belegen. Es lässt sich in der Schweiz auch keine Medienberichterstattung über den geschilderten Fall finden. Diese wäre aber durchaus zu erwarten gewesen, zumal aus dem Islam hervorgegangene Glaubensgemeinschaften hierzulande leicht zugenommen haben. Ihr Anteil an der ständigen Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahren betrug 2021 weniger als 6 Prozent. Über religiöse angepasste Menüs an Schulkantinen diskutierten die Öffentlichkeit und Behörden unter Einbezug der Schulen mehrfach.


International haben sich mehrere Medien mit dem vermeintlichen Schreiben befasst. Auch Behörden in diversen Ländern sahen sich damit konfrontiert. So kursierte die Geschichte unter anderem in Kanada, wie einem Bericht von Radio Canada zu entnehmen ist. Die Stadt Dorval in der der Provinz Québec dementierte im Januar 2015 einen derartigen Vorfall und sprach von einer Falschnachricht.


Im Jahr 2014 kursierte das vermeintliche Gerücht in Belgien. Der Gemeindepräsident von Ath dementierte, jemals eine Rückzugsforderung von Schweinefleisch aus den Schulkantinen erhalten zu haben.


Text stammt nicht von einem Bürgermeister


Auch in Frankreich wird das Schreiben immer wieder verbreitet. Der Ursprung der Geschichte ist wahrscheinlich die südfranzösische Gemeinde Antibes im Jahr 2013, wo Eltern die Forderungen stellten, Schweinefleisch aus dem Menüplan der Schulkantinen zu nehmen. Daraufhin verfasste die Gemeinde im Januar 2013 ein Antwortschreiben, welche sich gemäss dem Prinzip der Laizität weigerte, der Forderung nachzukommen. Das Schreiben unterzeichnete die stellvertretende Bürgermeisterin. Lokale Medien berichteten darüber.


Ein französischsprachiges Onlineportal griff noch im selben Monat das Thema auf und lobte die stellvertretende Bürgermeisterin. Bei einer Übersetzung des Artikels ins Deutsche ergibt sich in etwa der Text, der aktuell auf Facebook kursiert. «Conspiracy Watch» warnt vor der Website, da sie mehrfach mit der Verbreitung falscher und irreführender Information aufgefallen sei und rechtsextreme Positionen verbreite. Der belgische Sender RTBF sowie die französische Zeitung «Le Monde» bewerten das Portal ähnlich.


Die Forderung nach einem Verzicht auf Schweinefleisch im Menüplan von Schulkantinen wurde in Frankreich im Jahr 2013 auf politischer Ebene diskutiert. Eine Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Gemeinden nicht verpflichtet seien, Menüs bestimmten religiösen Forderungen anzupassen. Gemäss einem Bericht von «Le Télégramme» wurde aber ein halbes Jahr später ein Rückgang von Schweinefleisch in Schulkantinen festgestellt.

Quellen

Facebook-Post (archiviert)


BLV: Aktionsplan der Ernährungsstrategie (archiviert)


BLV: Gemeinschaftsgastronomie (archiviert)


BFS: Statistik Religionszugehörigkeit 2010 - 2021 (archiviert)


HLS: Bürgermeister (archiviert)


HLS: Gemeindepräsident (archiviert)


HLS: Ammann (archiviert)


Google-Suche nach Medienberichterstattung in der Schweiz (archiviert)


Tagblatt: Artikel über Diskussion von Schweinefleischverbot in Schulen, 29.08.2016 (archiviert)


BZ: Artikel über Diskussion von Schweinefleischverbot in Schulen, 22.06.2016 (archiviert)


20 Minuten: Artikel über Diskussion von Schweinefleischverbot in Schulen, 05.07.2018 (archiviert)


Radio Canada: Artikel über Falschmeldung in Kanada, 28.05.2019 (archiviert)


Gemeinde Dorval: Dementi, 27.01.2015 (archiviert)


RTL: Artikel über Falschmeldung in Belgien, 08.05.2014 (archiviert)


Gemeinde Ath: Dementi, 2014 (archiviert)


France Info: Artikel über Falschmeldung in diversen französischen Gemeinden, 03.05.2016 (archiviert)


France Info: Artikel über Falschmeldung in diversen Gemeinden, 01.02.2019 (archiviert)


Gemeinde Antibes: Antwortschreiben auf Forderung der Eltern, 09.01.2013 (archiviert)


bpb: Laizität (archiviert)


Nice Matin: Artikel über Vorfall in Antibes, 23.01.2013 (archiviert)


Dreuz: Artikel mit Falschmeldung, 25.01.2013 (archiviert)


Conspiracy Watch: Kritik an Onlineportal Dreuz (archiviert)


RTBF: Kritik an Onlineportal Dreuz, 10.09.2015 (archiviert)


Le Monde: Kritik an Onlineportal Dreuz, 08.10.2019 (archiviert)


Le Défenseur des Droits: Bericht über Menüangebot von Schulkantinen, März 2013 (archiviert)


Le Télégramme: Artikel über vermindertes Schweinefleischangebot an Schulkantinen in Frankreich, 14.10.2013 (archiviert)

 

 

 


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