20.04.2022 | Faktencheck

Information oder Propaganda?

Anfang April 2022 kursierten schockierende Bilder aus Butscha, ein Vorort im Westen von Kiew, in den Medien. Nach dem Abzug der russischen Truppen wurden viele Zivilisten tot aufgefunden. Die ukrainischen Behörden machen Russland dafür verantwortlich, diese bestreiten, jemals Kriegsverbrechen begangen zu haben. Nun warnt Russland, Kiew bereite gezielt «Provokationen gegen russische Streitkräfte vor». Handelt es sich dabei um Information oder Propaganda? 


Screenshot Facebook
Screenshot Facebook
Behauptung

Der russische Generaloberst Michail Misinzew warnte, dass die ukrainischen Behörden 350 Kilometer östlich von Kiew in der Region Sumy angeblich inszenierte Massaker vorbereite, um die russische Armee zu diskreditiert. Diese Warnung, welche unter anderem auf Facebook und Instagram kursiert, wird mit einem nicht näher beschrifteten Foto bebildert. Zu sehen sind drei Männer bei einer Bergung. Zeigt das Bild - wie es den Anschein erweckt - britische Filmproduzenten, die angeblich der Ukraine bei der vermeintlichen Provokation der russischen Armee behilflich sind?

Beurteilung

Eine einordnende Bildlegende ist dem Foto, welches zur Bebilderung der vermeintlichen Warnung dient, nicht angefügt, eine verifizierte Bildquelle schon gar nicht. Recherchen haben ergeben, dass hierbei die Bergung eines toten Zivilisten aus einem Massengrab in Butscha zu sehen ist. Gerichtsmediziner entnahmen am 11. April 2022 den gefunden Leichen DNA-Proben für weitere Analysen. Das Foto steht in keinem Zusammenhang mit einer angeblich inszenierten Provokation – es ist aus seinem Entstehungskontext gerissen worden.

Sachlage

Bei der Ermittlung des Bildursprungs mithilfe der Foto-Rückwärtssuche stösst man auf eine türkische und eine tschechische Berichterstattung, die jeweils dasselbe Bild wie im Facebook-Post zeigen. Beide Artikel thematisieren die Exhumierung eines Massengrabes nach dem Massaker, das die russische Armee in Butscha angerichtet hatte. Russland bestreitet jegliche Vorwürfe, Kriegsverbrechen begangen zu haben oder die zivile Lokalbevölkerung zu misshandeln. 


Der Ankara Masasi-Artikel verweist mit dem Kürzel AA auf die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi. Der Tschechische Artikel weist in der Bildlegende ebenfalls die Agentur Anadolu sowie den Fotografen Metin Aktas als Quelle aus.


Das Bild ist gemäss der Beschriftung auch in der Bilddatenbank der Anadolu Agentur zu finden, sowie auch bei Getty Images. Diese verweist ebenfalls auf die türkische Agentur. Die Bildlegenden beider Datenbanken sind identisch und weisen auf die Exhumierung in Butscha vom 11. April 2022 hin. Die Zivilisten seien während des russischen Angriffs ums Leben gekommen, so die Bildlegende.


Der in der Legende angegebene Pressefotograf Metin Aktas arbeitet schon länger für die türkische Nachrichtenagentur. Dies lässt sich aus den Berichterstattungen und Fotostrecken diverser Medien erschliessen.


Das Bild zeigt folglich keine Filmproduzenten oder Mitarbeiter eines Videodrehs, sondern forensische Ermittler bei der Untersuchung von Leichen in Butscha. Von einer Inszenierung kann keine Rede sein: Diverse Schweizer Medien berichteten über die Massaker an der Zivilbevölkerung durch die russischen Armee in Butscha. Russland bestreitet jegliche Vorwürfe, was ebenfalls von den Medien aufgegriffen wurde.


Es lassen sich keine Belege finden, wonach angeblich britische Filmproduzenten zusammen mit den ukrainischen Behörden Kriegsverbrechen inszenieren. Ein deutsches Onlinemedium hat die angebliche russische Warnung vor inszenierten Kriegsverbrechen in Sumy aufgenommen. Der Beitrag wurde in der Zwischenzeit gelöscht, ist jedoch in den Internet-Archiven noch zu finden. Eine ähnliche Warnung verbreitete auch die russische Botschaft in Deutschland mit der Beteuerung, die zivile Lokalbevölkerung mit Menschenwürde zu behandeln. Die Behauptungen lassen sich nicht bestätigen.